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Plädoyer für sechs neue Grundrechte

Tag der Menschenrechte: NetzWerk Landkreis Nienburg traf sich im Rathaus

Das Foto zeigt Alexander Petrovic, Moderator Peter Brieber, NetzWerk-Koordinator Werner Behrens, Referent Dr. Rolf Gössner, Wolfgang Kopf, Uwe Schmadeke, Susanne Kindler-Adam, Tobias Sperling und Marlis Rempe (von links).
Wer Anfang Dezember durch die Nienburger Innenstadt ging, konnte in Schaufenstern je eins der sechs neuen Grundrechte entdecken, die die europäische Zivilgesellschaft derzeit von der EU einfordert. Am diesjährigen Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember, stellte das NetzWerk Landkreis Nienburg, gefördert von Bürgerstiftung und Attac, die Initiative zur Aktualisierung der EU-Grundrechtscharta im Vestibül des Rathauses etwa 50 politisch interessierten Gästen vor.

Jurist und Publizist Dr. Rolf Gössner (Bremen) von der deutschen Liga für Menschenrechte referierte detailliert, Altbürgermeister Peter Brieber moderierte eine intensive Diskussion. Die „6 neuen Grundrechte“ lauten:
Artikel 1 - Umwelt: Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.
Artikel 2 - Digitale Selbstbestimmung: Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.
Artikel 3 - Künstliche Intelligenz: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.
Artikel 4 - Wahrheit: Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträger:innen der Wahrheit entsprechen.
Artikel 5 - Globalisierung: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.
Artikel 6 - Grundrechtsklage: Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzung dieser Charta Grundrechtsklage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben.

In seiner Begrüßung wies NetzWerk-Koordinator Werner Behrens darauf hin, dass die jährlich um den 10. Dezember stattfindende „Leuchtturm-Veranstaltung“ kommunale Impulse für Grund- und Menschenrechte setze. Diese zählten neben Frieden, Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie zu den fünf humanitären Zielen, für die sich die derzeit 25 NetzWerk-Organisationen monatlich treffen.

Dr. Rolf Gössner begann sein Referat mit dem Aufruf, angesichts der verstörenden multiplen Krisen am Tag der Proklamation universaler Menschenrechte (10.12.1948) zuversichtlich auf die Kraft der Humanität zu blicken. Er wies sodann anlässlich des 75-jährigen Jubiläums auf die Errungenschaften des Grundgesetzes hin, kritisierte aber dessen zahlreiche Einschränkungen, etwa bei Notstandsgesetzen, Berufsverboten und Asylrecht. Auch fordere der Artikel 20, Absatz 1 (sozialer Bundesstaat, Volkswahlen und Volksabstimmungen) Existenzsicherheit und plebiszitäre Impulse.

Auf die Chancen und Probleme der Implementierung neuer EU-Grundrechte eingehend, benannte Dr. Gössner zunächst drei Ebenen: die nationalen Grundrechte und Verfassungsgerichte; den Europarat mit 47 Staaten, dessen Menschenrechtskonvention von 1950 und dessen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg; die EU mit 27 Mitgliedsstaaten, deren EU-Grundrechtscharta von 2009 und dessen zuständigen Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

Die jetzt vorgestellte, zivilgesellschaftliche Initiative für „Sechs neue europäische Grundrechte“ geht von Ferdinand von Schirach mit seinem Büchlein „Jeder Mensch“ und dessen Stiftung aus. Sie will durch Bürger:innen-Engagement erreichen, dass Deutschland den Mechanismus einer EU-Grundrechts-Erweiterung in Gang setzt: Antrag im Europäischen Rat; mit 14er Ratsmehrheit Einberufung eines EU-Grundrechtekonvents; mit einstimmigem Textentwurf EU-Staaten-Konferenz; mit dortiger Einstimmigkeit Ratifizierung durch alle EU-Mitgliedsstaaten; danach Inkrafttreten.

In der anschließenden, von Peter Brieber moderierten Diskussion wurde wegen der aktuellen Globalisierung und Digitalisierung die Notwendigkeit neuer Grundrechte deutlich bejaht. An den Realisierungschancen kamen jedoch – auch angesichts der komplizierten EU-Verfahren – mehrfach Zweifel auf. Referent und Moderator wiesen demgegenüber darauf hin, dass neue Grund- und Menschenrechte immer Utopieentwürfe seien, die Defizite aufdecken und eine humanere Zukunft entwerfen.

Kommentare

von Pierrot
12.01.2025
12:18 Uhr
Menschenrechte vs Menschenpflichten

Vor langer Zeit hat der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in der "Zeit" einen Artikel geschrieben, dessen Inhalt heute noch genauso wichtig ist:

Die Menschen sollten weniger auf ihre Rechte bestehen

als vielmehr daran denken, dass mit den Rechten auch Pflichten verbunden sind, durch deren Erfüllung den Rechten Raum gegeben wird.

Darum sollte es einen Katalog der Menschenpflichte geben, der zum Selbstverständnis des Menschseins gehören sollte.

Vielleicht wäre das auch einer ausführlicheren Diskussion würdig

meint Pierrot

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