"Skandalös und demütigend"
Bündnis für soziale Gerechtigkeit fordert Politik auf, Finanzierung der Pflegeheimplätze zu überdenken
Auch für Marion Schaper, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Nienburg, kann es nicht sein, dass man sich den Platz im Altenheim selbst bei einer überdurchschnittlichen Rente nicht leisten kann. Fotos: Hagebölling, Die Harke am Sonntag, 19.07.2020
Als Mitglieder des Bündnisses für Soziale Gerechtigkeit wenden sie sich erneut an Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann. Ihr Vorwurf: Es kann nicht sein, dass man sich selbst mit einer deutlich überdurchschnittlichen Rente keinen Platz in einem Altenheim leisten kann und stattdessen auf kurz oder lang gezwungen wird, den Gang zum Sozialamt anzutreten.
Die Situation in der stationären Pflege gestaltet sich nach Recherchen von Marion Schaper und Werner Behrens so, dass die Eigenanteile in den Heimen im Landkreis Nienburg zu Beginn des Jahres um 400 bis 500 Euro gestiegen sind und somit jetzt bei durchschnittlich 1.900 bis 2.000 Euro pro Monat liegen. Und das bei einer durchschnittlichen Rentenhöhe von rund 1.325 Euro. Klammert man die Männer aus, kommen Frauen sogar nur auf eine Durchschnittsrente von 981 Euro.
Frauen müssen von 981 Euro Rente leben
Ursache für die massive Anhebung des Eigenanteils für die stationäre Pflege ist das Pflegestärkungsgesetz. Dieses Gesetz beinhaltet zum einen die Entlastung der Angehörigen – sie sind neuerdings bis zu einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro von der Zuzahlung befreit – das Pflegestärkungsgesetz führt aber auch dazu, dass dass Pflegepersonal besser bezahlt wird. „Beides begrüßen wir natürlich ausdrücklich“, so Schaper und Behrens weiter. „Es kann jedoch nicht sein, dass diese Kosten von den Pflegebedürftigen aufgebracht werden müssen. Das ist so nicht hinnehmbar.“
Werner Behrens, Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes Nienburg, spricht sich energisch gegen die ständig steigende finanzielle Belastung der Bewohner in den Altenheimen aus.
Die beiden haben außerdem erfahren: Die in dreijährigem Rhythmus erfolgende Überprüfung dessen, ob das Pflegegeld noch ausreichend ist und nicht zu unbilligen Härten führt, findet in diesem Sommer statt. Also vor der Tariferhöhung Anfang kommenden Jahres. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, so die Bündnis-Sprecher.
Weiter betonen sie: „Aus unserer Sicht muss es möglich sein, dass man sich von einer durchschnittlichen, und einer überdurchschnittlichen Rente sowieso, einen Platz in einem Altenheim oder einer anderen Pflegeeinrichtung leisten können muss. Man zwingt Menschen, die sich bis dato nicht in einer finanziellen Notlage befunden haben, dazu, öffentliche Leistungen zu beantragen.
Vorher müssen aber noch bis zu dem Schonbetrag von 5.000 Euro private Ersparnisse eingesetzt werden. Oder man erreicht so, dass die Angehörigen doch mit Zahlungen eintreten, weil sie ihren Lieben die Scham besetzte Beantragung von Grundsicherung ersparen wollen.“
Die Scham beim Gang zum Sozialamt ersparen
Insgesamt müsse der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das aktuelle Familienmodell nicht mehr so aussieht, dass Familienverbände über Generationen an einem Ort zusammenbleiben und Kranke und Alte in jedem Fall vom Familienverband mitgetragen werden können. Berufsbedingt sei viel Flexibilität nötig, verschiedene Generationen leben an unterschiedlichen Orten. Zudem gebe es viele alte und kranke Menschen, die gar keine Familie haben.
„Aus unserer Sicht ist aufgrund dessen ein bezahlbares, funktionierendes und überprüfbares System der stationären Pflege nötig. Es ist deutlich den Tendenzen zur Anstellung von ausländischen Pflegekräften in Privathaushalten vorzuziehen, die zum Teil unter sehr fragwürdigen Bedingungen beschäftigt werden“, betont Marion Schaper.
Und Werner Behrens ergänzt: „Wie uns das Büro von Bundesgesundheitsminister Spahn mitgeteilt hat, liegen die Investitionskosten in der stationären Pflege – aktuell 516 Euro pro Monat – im Prinzip in der finanziellen Zuständigkeit des Landes. Wenn das Land hier nicht nur für die ambulante Tagespflege, sondern auch für die stationäre Pflege finanziell einstehen würde, wäre auch schon ein Teil des Problems gelöst.“