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Tschernobyl 1986 und Tschernobyl 2022– Mahnung und Gefahr zugleich

Wolfgang Kopf an der Tschernobyl-Madonna Nienburg, 26.April 2022

Der Anti-Atom Kreis Nienburg, der das jährliche Tschernobyl-Gedenken mitgestaltet, hat sich seit der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahre 2011 u.a. diese Aufgabe gesetzt: „Wir treten für eine Entwicklung ohne Atomkraft ein, denn wir halten die Atomenergie und die Produktion von Atomwaffen für eine inakzeptable Gefahr für die Menschheit!“ Das Zitat stammt aus der Webseite der belarussische Anti-Atom-BI EKODOM (2009). Wir engagieren uns daher für den zivilen und militärischen Atomausstieg, für eine regenerative Energiewende und für konkrete Solidarität mit Atomopfern. Wir haben darum die seit 1996 bestehende Trägerschaft der Strahlenmeßstelle in der Schule des belarussischen Dorfs Djatlawitschi im Jahr 2016 von der Grundschule Estorf übernommen - mit großzügiger finanzieller Unterstützung unsers Nienburger Städtepartnerschaftsvereins „Nienburg-Freundschaften weltweit e.V.“. 

Das diesjährige Gedenken steht unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen, verbrecherischen Angriffskriegs Rußlands auf die Ukraine - mit belarussischer Komplizenschaft! Ich habe es übernommen, aus meinen seit Beginn der Witebsk-Partnerschaft bestehenden privaten und zivilgesellschaftlichen Kontakten zu berichten, wie es den ehemals mit uns verfeindeten und jetzt vielfach befreundeten Menschen in Belarus und Witebsk dabei geht - angesichts des Bruderkriegs und der Ängste um erneute atomare Bedrohungen um die zeitweise russich besetzte Atomruine Tschernobyl und die von Putin angedrohte Eskalationsspirale. Zunächst spreche ich in historischer Perspektive zur seelischen Verfassung, dann zur aktuellen Gefahrensituation in Tschernobyl.

Seit über 80 Jahren, seit dem verbrecherischen deutschen Überfall auf die Völker der Sowjetunion im Juni 1941, befinden sich die belarussischen Menschen im seelischen Verletzungsstreß. 1986 wurde ein Viertel ihres Landes durch die Tschernobyl-Explosion atomar verseucht, Tausende, vor allem Kinder, erlitten schwere Strahlenkrankheiten, die nationale Nahrungskette ist geschädigt. 1994 kam mit Lukaschenko die Repression, im August 2020 die brutale Niederschlagung mehrmonatiger, mutiger Großdemos gegen die Wahlfälschungen, am 7.November 2020 die Einweihung des ersten belarussischen AKW in Ostrovetz nahe Litauen. Ab März 2021 folgte die Desinformation zu Corona mit überfüllten Intensivstationen, ohne Infektions- und Todesfall-Angaben. All das wütete in Witebsk besonders.- Und dann geschah am 24. Januar dieses Jahres der brutale Angriffskrieg des russischen Brudervolks auf das ebenso verwandtschaftlich verbundene ukrainische Volk – die Ukrainer werden nach Lukaschenko-Befehl nun zu Feinden, die belarussischen jungen Männer erhalten vorsorgliche Einberufungsbescheide. Die Russen besetzen die AKW-Ruine Tschernobyl, Präsident Putin droht bei Nichterreichung seiner imperialen Ziele der Nato mit dem Einsatz von Atomwaffen – der katastrophale atomare Irrweg von Hiroshima und Nagasaki, von Tschernobyl und Fukushima scheint sich zu vollenden. - Wie sollen unsere Freunde in Witebsk und Belarus -nur 3% befürworten nach einer seriösen Umfrage den russsischen Angriff- wie sollen sie diese eine ganze Lebensspanne umfassenden, kollektiven Verletzungen und die Ängste vor erneuten atomaren Bedrohungen ertragen? Ich zitiere aus einem Brief aus Belarus: „ Seit all den Ereignissen herrscht hier Chaos. Die Menschen sind ermüdet, enttäuscht und erschöpft, sehr viele sind ins Ausland verreist. Kannst Du glauben, dass (nach den Demos) mehr als 35.000 Menschen in die Gefängnissse gingen..,360.000 verreist sind, es kaum eine nicht betroffene Familie gibt? Wir haben uns so bemüht, das unsere BürgerInnen, Städte, Völker nie wieder Feinde würden, aber jetzt erklärt man, fast alle Länder außerChina und Rußland wollten uns erobern,teilen und besiegen.“

Nun zur akuten Atomgefahr in Tschernobyl. Nach der umkämpften Besetzung der Atomruine durch russische Fallschirmjäger bereits am 24./25.2. und dem zwangsweisen Weiterbetrieb der Anlage durch das ukrainische Wachpersonal ohne Schichtwechsel bis zum Rückzug der Russen am 1.4. gab es wohl zutreffende Meldungen über die Reparatur der Stromversorgung und unbestätige Informationen über eine beim Angriff beschädigte Lagerhalle für radioaktiven Restmüll. Die zeitweisen Bedenken der Internationalen Atomergiebehörde IAEO in Wien bestehen nicht mehr. Wie angstvoll diese 5 Wochen für die Belarussen waren, zeigt ein Informationsbrief unsers Djatlawitschi Partners, des unab- hängigen Minsker Strahlen-Institurs Belrad vom 4.April: „Die Situation in der Welt ist sehr beängstigend. Wir versuchen, unsere üblichen Aktivitäten durchzuführen, indem wir Kinder und Lebensmittel messen. (und die prekär verstrahlten Kinder mit Medikamenten wie Pektin versorgen)...Dabei trafen wir auf 15 km lange Militärkolonnen, die.. aus der ukrainischen Tschernobyl-Zone zurückkamen und in riesigen Waldlagern Halt machten...“ Unser niedersächsischer Projektpartner Achim Riemann vom Jugendumweltnetzwerk Janun ergänzt: „ Belrad hatte befürchtet, dass es eine erhöhte Radioaktivtät geben könnte. Aber es gab offensichtlich keinen radioaktiven Zwischenfall im Tschernobyl-Reaktor. Durch Panzer und schweres Gerät wird zwar viel Staub aufgewirbelt, aber das Cäsium befindet sich mittlerweile in 60-70 cm Bodentiefe.“ Es gibt aber Meldungen, wonach russische Soldaten in ausgehobenen Schützengräben verstrahlt wurden.-

Liebe ZuhörerInnen und Zuhörer. Duch den russischen Angriff auf die Ukraine ist das atomare Trauma nicht nur für unsere Freunde in Belarus, sondern nach ganz Europa, auch zu uns nach Deutschland, zurückgekehrt. Eine Zeitenwende hin zu einem neuen heißkalten Krieg hat nach 30jähriger Entspannung begonnen. Solidarität mit der Ukraine, die sich wider aller Erwartungen so tapfer verteidigt und deren Kriegsflüchtlinge wir als unsere Gäste willkommen heißen, ist die eine Seite. Aber die andere Seite ist es, die Eskalationsspirale zu durchbrechen, zu deeskalieren, wie heute der Besuch von UN-Generalsekretär Guterres, oder die Friedensapelle von Papst Franziskus aufzeigen – weg von imperalen Kriegen -seien sie Nato- oder rußlandgesteuert- hin zu einem gesichtswahrenden Waffenstillstand, zu Verhandlungen, zu einer neuen, wirklich europäischen Sicherheitsordnung, zu einer OSZE-Streitschlichtungskultur mit der Perspektive der Einbeziehung Rußlands. Bundeskanzler Scholz hat hier aus meiner Sicht Respekt und Vertrauen verdient, wenn er argumentiert: „ Früh habe ich gesagt, dass wir alles tun müssen, um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der NATO und einer hochgerüsteten Atom-Supermacht wie Rußland zu vermeiden. Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt“ (HAZ 23.4.2020).

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