„Vom Kopf auf die Füße stellen“
SPD und BI BGE wollen Kinderarmut überwinden
Sozialethik-Professor Franz Segbers erläuterte das Modell, das vorsieht, die bisherige Kinderförderung „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen: „Pro Kind erhalten Besserverdienende bislang bis zu 300 Euro als Steuerfreibetrag, Normalverdienende 194 bis 223 Euro an Kindergeld, Geringverdienende auf Antrag zusätzlich einen Kinderzuschlag von bis zu 170 Euro. Für die erwerbslosen Hartz-IV-Familien und Alleinerziehende entfällt die Kinderförderung dagegen komplett. Ihr Anspruch auf Kindergeld plus Kinderzuschlag wird vom Kindersozialgeld (245 bis 316 Euro) abgezogen. Dieses Klassensystem ist ein sozialpolitischer Skandal! Jedes Kind sollte willkommen sein und gleich gefördert werden!“
In ihrem Eingangsstatment stellte Völlers das neue Sozialstaatskonzept der Bundes-SPD vor. Dieses beinhalte neben Bürgergeld, einem Recht auf Weiterbildung, höherem Mindestlohn und Grundrente (ohne Bedürftigkeitsprüfung) auch eine Kindergrundsicherung. „Niemand darf wegen seiner Kinder arm werden. Die bisherige Familienförderung garantiert das in unseren Augen nicht“, erklärte Völlers. Das SPD-Konzept der Kindergrundsicherung sieht unter anderem vor, die Kinder aus dem SGB II-Bezug zu holen. Das SGB II-System sei darauf ausgerichtet, Erwerbssuchende zu betreuen und in Arbeit zu vermitteln – beides träfe auf Kinder und ihre Bedürfnisse nicht zu.
Die Verarmung, führte Segbers in seinem Vortrag aus, hat inzwischen mit 3 Millionen Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Aktuelle Berichte bestätigen dies auch für den Landkreis Nienburg/Weser. Um die Verarmung der der von Hartz- IV betroffenen Familien und Alleinerziehenden zu überwinden, bildete sich bereits 2009 ein breites zivilgesellschaftliches „Bündnis Kindergrundsicherung“, dem unter anderem AWO, GEW und Kinderschutzbund angehören.
Das 2018 aktualisierte Bündniskonzept sieht die steuerfinanzierte Zahlung eines Kinder-Existenzgeldes von 628 Euro monatlich bis zum 18. Lebensjahr vor. Die Höhe orientiert sich an einem kindgerechten Existenzminimum: dem „sachlichen“ von 408 Euro und einem Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsbedarf von 220 Euro. Junge Erwachsene in Ausbildung und Beruf sollen bis zum 25. Lebensjahr die Mindest-Kindergrundsicherung von 300 Euro erhalten.
Die Kindergrundsicherung soll die meisten der bislang zersplitterten über 150 familienbezogenen Leistungen ersetzen – insbesondere Kinderfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag, Kindersozialgeld, Ehegattensplitting und BAföG.
Grant-Hendrik Tonne, niedersächsischer Kultusminister und SPD-Unterbezirk-Vorsitzender, moderierte die abschließende lebhafte Diskusion mit den Gästen. Auch er plädierte für eine Kindergrundsicherung und wies darauf hin, dass kürzlich die Länderkonferenz der Sozialminister mehrheitlich für eine Kindergrundsicherung votiert habe. Unter Federführung Niedersachsens sei im vergangenen Jahr ein erstes Konzept erarbeitet worden.
In kurzen Beiträgen unterstützten Anja Altmann und Celsy Dehnert (beide SPD) sowie Martina Broschei (Piraten) und Peter Schmithüsen (Grüne) das von Professor Segbers aufgezeigte Modell. Für die BI BGE gab Wolfgang Kopf der Erwartung Ausdruck, dass die SPD gemeinsam mit Linken und Grünen spätestens im nächsten Bundestag einen Gesetzentwurf zur Einführung der Kindergrundsicherung einbringt.