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Menschenrechte und Demokratie
im Corona-Ausnahmezustand

10. Dezember 2020


Ein großer Teil der Mitgliedsorganisationen von Das NetzWerk Landkreis Nienburg/Weser stellt anlässlich des diesjährigen Tags der Menschenrechte dar, welche Auswirkungen die Covid-19-Pandemie auf ihre Arbeit hat und welche Forderungen daraus resultieren – Corona als Brennglas.


Und „draußen“ ist plötzlich ein sicherer Ort

Corona - ein neues Virus fliegt durch die Luft, ausgeatmet von Menschen. Jeder Windhauch pustet es fort, so dass es kaum noch einen Wirt findet. Nochmal Glück gehabt! Wir durften die ganze Zeit raus. Gaukelnde Schmetterlinge über Blüten und seien sie noch so klein, Sonnenstrahlen und raschelnde Igel im Laub trösten jetzt mehr als unermüdliche Mähwerke über grünen Flächen.

Sauberes Wasser, gesundes Obst und regionales Gemüse stehen uns die ganze Zeit zur Verfügung und stärken unsere Abwehrkraft. Auch dies gäbe es nicht ohne funktionierende Ökosysteme. Artenvielfalt ist ein Netz das trägt, die Fäden dürfen nicht zerreißen und die Maschen nicht zu groß werden. Lasst uns diesen Schatz mit allen Mitteln hüten und mehren, hier und anderswo, und auch Nienburgs Grün als Lebensraum für alle gestalten. Der Verlust von Lebensraum ist einer der Faktoren, der dazu führt, dass Krankheitserreger leichter auf den Menschen überspringen. Eine intakte und saubere Umwelt ist ein Menschenrecht.


Anja Thijsen (NABU) und Dieter Mehring (BUND)

Nienburg soll „sicherer Hafen“ werden

In dieser Pandemie, in der wir alle zu mehr Solidarität aufgerufen werden, klingt dieser Ruf hohl, wenn man an die Außengrenzen Europas blickt. Noch immer leben tausende Geflüchtete in unmenschlichen Auffanglagern, in denen es weder Hygiene, noch Privatsphäre, noch eine ausreichende medizinische Versorgung gibt – kurz: keinen ausreichenden Schutz vor Covid-19.

Es wird Geflüchteten unmöglich gemacht, sich vor der Pandemie zu schützen.

Umso zynischer mutet es da an, wenn der Stadtrat Nienburgs sich immer wieder mehrheitlich gegen eine Benennung als „Sicherer Hafen“ für Geflüchtete und Menschen, die aus Seenot gerettet werden, ausspricht.


Praktische echte Solidarität und direkte Hilfen werden immer wieder versagt. Und auch die Nienburger Politik hat nicht den Mut, Horst Seehofers unmenschliche Politik zu verurteilen.


Wir fordern: Auflösung der Lager an den EU-Grenzen. Humane Unterbringungen für Geflüchtete. Medizinische Versorgung für alle Geflüchtete. Solidarität mit den Seenotretter*innen, Schluss mit der Kriminalisierung der Seenotrettung.


Anne Bremer – Seebrücke Nienburg

Jungen Menschen wieder Sicherheit geben

Die Corona-Pandemie erzeugt bei vielen jungen Menschen ganz viel Unsicherheit, sie schürt Ängste und macht häufig auch traurig und einsam. Diese Emotionen potenzieren sich bei Menschen mit Fluchterfahrungen und/oder mit Migrationshintergrund aufgrund der Sprachbarrieren. Zum einen die extreme Informationsflut hinsichtlich der geltenden Verhaltensregeln durch die Medien in der Corona-Zeit, die es zu sortieren gilt und auf die jeweilige Personen herunter zu brechen und zum anderen die zahllosen Aushänge, Online-Informationen von Ämtern und Behörden.

Wie zum Beispiel ist es mit Arztbesuchen, wie kann ich jetzt BAföG beantragen, darf ich meinen Onkel noch besuchen, etc. Hier gilt es jetzt mehr als je zuvor, vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen und den jungen Menschen wieder ein wenig Sicherheit zurückzugeben. Wir benötigen einen Akt der größtmöglichen und gemeinschaftlichen Solidarität, damit wir eine gemeinsame starke Zukunft haben.


Sven Kühtz – Jugendmigrationsdienst (JMD) im CJD

Verschwörungsmythen und „Querdenker*innen“

Seit Beginn der Corona-Einschränkungen haben Verschwörungserzählungen im öffentlichen Diskurs zunehmend Raum eingenommen. Insbesondere im Umfeld der Szene der sogenannten „Querdenker*innen“ werden antisemitische Ideologien verbreitet und behauptet, dass die weltweite Pandemie eine Verschwörung sei. Dabei setzen die Aktivist*innen auf Eskalation z.B. gegen Hygienemaßnahmen in Schulen, in Geschäften oder bei Behörden, statt bei der Lösung von Problemen zu helfen. Das unterscheidet sie auch von Menschen, die einzelne Maßnahmen kritisieren oder auf ihre Notlage hinweisen. Während die Bundesrepublik von Verschwörungsideologen als „Merkel-Diktatur“ verunglimpft wird, erhalten autoritäre Regime und Diktatoren Zustimmung. Hinzu kommt eine Selbstinszenierung als Opfer, die einhergeht mit der Anmaßung, sich mit dem Widerstand und den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gleichzusetzen. Im Landkreis Nienburg ist die Szene seit Beginn eng mit extremen Rechten verknüpft. Weitere Infos und Beratung: www.wabe-info.de


Rudi Klemm – WABE e.V.

Energiesperren vermeiden!

Im Artikel 22 der Menschenrechtserklärung von 1948 heißt es: „Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit.“ Diese Forderung schließt menschenwürdigen Wohnraum mit ausreichender Energie- und Wasserversorgung ein. In 2019 wurden deutschlandweit ca. 289.000 Haushalten der Strom abgeschaltet und ca. 31.000 das Gas. Im Landkreis Nienburg wurden in diesem Zeitraum 163 Haushalten der Strom und 22 das Gas abgestellt. Dies bedeutet für die Betroffenen, dass sie keine elektrischen Geräte mehr betreiben und in dunklen und kalten Wohnungen leben müssen. Solche Wohnungen sind menschenunwürdig und nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unbewohnbar.

In Pandemiezeiten verschärft sich die Situation noch. Einkommensausfälle durch Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust, höherer Energieverbrauch durch Home Office und häufiges Zu-Hause-Sein, Homeschooling der Kinder – all dies erhöht für einkommensschwache Haushalte das Risiko, die Energierechnungen nicht mehr zahlen zu können und von entsprechenden Sperren betroffen zu sein.

Daher sollten Energiesperren in diesen Zeiten grundsätzlich nicht durchgeführt werden dürfen. Langfristig setzen wir uns für ein vollständiges Verbot der Sperren ein. Auch muss gerade jetzt gewährleistet sein, dass Jobcenter und Landkreis schnell und unbürokratisch entweder als Darlehen oder als Zuschuss Energieschulden übernehmen, um Sperren zu verhindern oder Wiederanschlüsse der Energieversorgung zu ermöglichen.


Wolfgang Lippel – Arbeitskreis „Stoppt Energiesperren“ im Landkreis Nienburg

Und dann auch noch ein Virus!

Stelle dir vor, du hast im umkämpften Nordsyrien unter schwierigsten Bedingungen ein funktionierendes demokratisches Gesellschaftsprojekt begründet, du hast die akuteste Bedrohung, den IS, besiegt und tausende Kämpfer in Lager eingesperrt, du wirst daraufhin von einer NATO-Armee im Verbund mit islamistischen Milizen überfallen und deiner Lebensgrundlagen beraubt, du wirst als Kurde in der Türkei und in Deutschland leichthin als Terrorist angesehen, während das oberste belgische Gericht das ganz anders sieht, du nimmst trotzdem seit Jahren aus allen Nachbarregionen Geflüchtete auf, während deine Lager aus allen Nähten platzen. Wie geht es dir, wenn dann auch noch so ein Virus daherkommt?

Immerhin ist es hiesigen Menschen über medico international möglich, Geld zu spenden, damit du eine minimale Gesundheitsversorgung und vielleicht ein dringend nötiges Beatmungsgerät erhältst: www.medico.de/rojava


Alexander Petrovic (Rojava-Initiative Nienburg) und Wilfried Möhlmann (Zusammen – Begegnungscafés und Flüchtlingsinitiativen)

Der sozialen Spaltung entgegenwirken

Seit über 10 Monaten ist die Pandemie im Leben der Menschen die bestimmende Konstante. Die Krise ist eine soziale Herausforderung. Finanzhilfen federn zwar einige Härten ab, aber Menschen mit geringen Einkommen profitieren kaum davon. Die soziale Spaltung wird weiter verschärft. Fakt ist: Die Schere zwischen den Einkommen hat sich durch die Coronakrise weiter geöffnet. Prekäre Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit, Minijobs, Freiberufler*innen, Soloselbständige und der Gastronomiebereich sind besonders betroffen.Der DGB fordert deshalb eine mutige Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Pandemie kann also auch eine Chance für eine Neubewertung des gesamten gesellschaftlichen Lebens sein.

Grundeinkommen, Nachhaltigkeit in allen Bereichen und Umstrukturierung des Gesundheitssystems sind als Beispiele zu nennen. Alles natürlich unter Beteiligung der vielen Millionär*innen.

In jeder Krise liegt eine Chance.


Werner Behrens – Deutscher Gewerkschaftsbund

Die Pandemie legt Mängel im System schonungslos offen

Armut hat viele Gesichter. Besonders Familien, Alleinerziehende und Migrant*innen sind stark gefährdet. Oftmals sind sie in prekären Arbeitsverhältnissen tätig, mit niedrigem Stundenlohn und einer ungewissen Beschäftigungszukunft. Auch alte Menschen geraten zunehmend in die Armutsfalle.

In Deutschland waren auch vor Corona schon rund 16 Prozent der Bevölkerung und jedes fünfte Kind von Armut betroffen oder bedroht. Eine bedeutende Entwicklung der letzten Jahre ist, dass immer mehr Menschen aus der Mittelschicht in die nähe der Armutsspirale rücken.

Die Pandemie wirkt hier wie ein Brennglas. Sie verschärft die Problemlagen und legt den Mangel im System schonungslos offen.

Die Bundesregierung hat in sehr kurzer Zeit ein Konjunkturpaket für die Wirtschaft auf den Weg gebracht. Es ist längst überfällig, auch ein Sozialprogramm zu entwickeln. Dazu gehören zum Beispiel Regelsätze, die auskömmlich sind (Erhöhung um im Schnitt 80 bis 120 Euro), Einführung einer Kindergrundsicherung, Zurverfügungstellung von Internetzugang und Hardware für Kinder aus armen Familien, Anhebung des Mindestlohnes auf ein Niveau, das ein Abgleiten der Mittelschicht in die Armut verhindert – um nur die wichtigsten Punkte zu nennen.

Denn: Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger sozialer Leistungen.


Marion Schaper – Diakonisches Werk Nienburg

Einführung eines Corona-Grundeinkommens

Die Corona-Pandemie hat etwas gezeigt, das uns schon lange bewusst war: Unser Sozialstaat ist alles andere als krisensicher. Trotz des Kurzarbeiter*innengeldes sind viele Familien finanziell hart getroffen worden – denn insbesondere Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor bringt es wenig, 60 Prozent ihres üblichen Lohnes zu erhalten.

Angesichts der zu erwartenden fortdauernden Corona-Lage fordert die örtliche Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen die sofortige Einführung eines zeitlich begrenzten Grundeinkommens von monatlich rund 1.000 Euro für besonders von der Pandemie betroffene Menschen.

Für uns kann nur so eine krisenfeste Lösung aussehen: Das Grundeinkommen schützt nicht nur jeden Menschen in einem prekären Arbeitsverhältnis vor Armut, sondern leistet auch unbürokratische Hilfe für alle Selbstständigen, denen durch die Pandemie die Einnahmen weggebrochen sind. Die Eindämmung der hiesigen Gefahren kann nur mit internationaler Solidarität Hand in Hand gehen.


Dorian Spange – BI Bedingungsloses Grundeinkommen Nienburg

Obdachlosigkeit abschaffen

Wohnungen sind die erste Verteidigungslinie gegen den COVID-19-Ausbruch. Deswegen fordert WohnWege die sofortige Umsetzung des Menschenrechts auf Wohnung zum Schutz vor der Pandemie.

Leerstände in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen müssen Wohnungsnotfällen zur Verfügung gestellt werden. Unverständlich ist, dass diese im April 2020 erhobene Forderung als Bestandteil eines „Kommunalen Rettungsschirms“ bei den örtlichen Verwaltungen und Politik (bis auf Grüne und Linke) auf Ablehnung stieß. So werden weiterhin Leerstände vom Steuerzahler subventioniert, anstatt damit existenzielle Notlagen von Wohnungsnotfällen zu beheben. Auch die Forderung nach Aussetzung von Wohnungsräumungen während der Pandemie wurde abgelehnt.

WohnWege schließt sich der Resolution des EU-Parlaments an, noch innerhalb dieses Jahrzehnts die Obdachlosigkeit abzuschaffen. Mehr als vier Millionen Obdachlose gibt es in Europa. Bei WohnWege fragen regelmäßig ca. 100 Wohnungsnotfälle um Rat. Wegen Diskriminierungen auf dem privatisierten Wohnungsmarkt müssen Menschen in existenziellen Notlagen weiterhin auf der Straße oder in unzureichenden Wohnverhältnissen leben.


Matthias Mente – Beratungsstelle WohnWege

Friedenspolitik in Corona-Zeiten

Die attac/ver.di Friedenskooperation zeigt sich über die internationale Friedenspolitik während der Corona-Krise enttäuscht. Der Aufruf von Uno-Generalsekretär António Guterres vom März dieses Jahres zu einem globalen Waffenstillstand in allen Teilen der Welt verhallte ungehört. Die Chance, die Krise zu verbesserten Beziehungen der Staaten untereinander auszunutzen, wurde leichtfertig verspielt.

Stattdessen forcieren die USA ihre Rüstungsausgaben, modernisieren ihr Atomwaffenarsenal und kündigen reihenweise Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge oder stellen sie in Frage (INF, Iran-Atomabkommen, Open Skies und Teststoppvertrag). Die NATO hält an der unsinnigen 2-Prozent-Zielsetzung des BIP für Rüstungsausgaben fest, obwohl diese Mittel dringend für andere Aufgaben (z. B. der Pandemiebekämpfung) gebraucht werden. Das US-Großmanöver „Defender 2020“ wurde lediglich reduziert und auch in der Pandemiezeit nicht gänzlich ausgesetzt.

Auf der nationalen Ebene sieht es nicht besser aus: Die Bundesregierung steigert fortwährend ihre Militärausgaben, strebt die Anschaffung neuer nuklearwaffenfähiger Kampfflugzeuge an und treibt auch auf europäischer Ebene Militärprojekte voran. Gleichzeitig wird der Feindbildaufbau gegenüber Russland und neuerdings auch China weiter forciert (Ministerin Kramp-Karrenbauer in ihrer jüngsten Grundsatzrede am 17.11.2020). Für die FrieKo ist dieser Kurs einer unbeirrten Hochrüstungsstrategie ein gefährlicher Irrweg. Die Corona-Krise hätte die Möglichkeit geboten, diesen Irrweg zu verlassen – aber leider ist das Gegenteil eingetreten.


Axel Nürge – attac/ver.di-Friedenskooperation

Atomkraft ist kein Klimaretter!

Aktuell ist Corona das Thema in den Medien. Ich habe den Eindruck, als würden die Menschen Umweltschutz einfach vergessen haben. Manche meinen sogar, Atomenergie sei ein gutes Mittel gegen die Klimakrise, weil Atomkraftwerke kaum CO2 ausstoßen. Dabei produzieren sie hochradioaktiven Atommüll, der über Jahrtausende strahlt. Außerdem kann es in einem Atomkraftwerk jeden Tag zu einem Super-Gau wie in Fukushima kommen. Dann würden große Gebiete verstrahlt und unbewohnbar.

Klimaschutz lässt sich viel besser, ungefährlicher und sogar deutlich billiger erreichen: Mit dem raschen Ausbau der Erneuerbaren Energien, mit Speichertechnologien und Energiesparmaßnahmen. Sonne, Wind und Wasser statt Kohle und Atom.


Uwe Schmädeke – Anti-Atom-Kreis Nienburg